Was tun gegen den Müll in unseren Städten und Gemeinden?

Die Stadt Tübingen (DE) liefert mit der Verpackungssteuer eine Antwort mit Vorbildcharakter

In der EU fallen jährlich rund 177 Kilogramm Verpackungsmüll pro Einwohner*in  zur Entsorgung an. Allein in Deutschland verursachen Einwegverpackungen rund 830.000 Tonnen CO2 und sind damit eine große Belastung für Umwelt und Klima. Die EU und nationale Regierungen versuchen, durch Regulierungen und Gesetze die Verpackungsflut einzudämmen. Doch auch Städte und Gemeinden können auf lokaler Ebene etwas tun, wie die Stadt Tübingen eindrucksvoll beweist.

„In Tübingen haben wir eine dramatische Zunahme von Verpackungsmüll beobachtet, insbesondere To-Go-Verpackungen, Einwegbecher und –Geschirr wurden immer präsenter im Stadtbild. Wir wollten und mussten handeln“, erläutert Claudia Patzwahl, Projektleitung Verpackungssteuer der Stadt Tübingen, die Entscheidung für das Projekt. Die kommunale Verbrauchssteuer wurde schließlich Anfang 2022 eingeführt. Besteuert werden Einwegverpackungen und -geschirr mit jeweils 50 Cent und Einwegbesteck mit 20 Cent, die Steuersätze sind als Nettobeiträge zu verstehen. Das Besondere am Tübinger Modell? Die Steuer richtet sich an die Unternehmen, die die Verpackungen in den Umlauf bringen, und kann damit als Ergänzung zu den bestehenden Regulierungen auf EU- und nationaler Ebene gesehen werden. Zusätzlich flankierte die Stadt die Einführung der Steuer auf Einwegverpackungen mit einem Förderprogramm für Mehrwegsysteme, um Betriebe beim Umstieg auf Alternativen zu unterstützen.

Der Weg zur Verpackungssteuer wurde bereits 2018 mit einem Beschluss des Gemeinderats zur Ausarbeitung eines ersten Entwurfs geebnet. „Bei der Entwicklung der Satzung für die Verpackungssteuer war uns rechtliche Unterstützung besonders wichtig, um das Vorhaben auf sichere Beine zu stellen. Aber auch die frühe Kommunikation mit der Gastronomie war von großer Bedeutung, um die betroffene Zielgruppe bestmöglich einzubinden“, betont Frau Patzwahl. Die Stadt hat in mehreren Informationsveranstaltungen die Gastronomiebetriebe über die Verpackungssteuer aufgeklärt und mit Anbieter*innen von Mehrwegsystemen in Kontakt gebracht. Trotzdem kam die Idee der Verpackungssteuer nicht bei allen Betrieben gut an. Die Betreiberin der Tübinger McDonalds-Filiale klagte 2021 gegen die Einführung der Steuer. 2022 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg zunächst Recht bekommen. Doch die Stadt Tübingen ging in Revision. In zweiter Instanz wurde die Verpackungssteuer im Mai 2023 vom Bundesverwaltungsgericht für zulässig erklärt. „Ein wegweisendes Urteil für Tübingen, aber auch andere Städte und Gemeinden. Damit ist klar, dass kommunale Verbrauchssteuern für Einwegverpackungen rechtmäßig sind“, kommentiert Claudia Patzwahl. Seit 9. August 2023 ist die schriftliche Urteilsbegründung auch öffentlich verfügbar. Diese bekräftigt unter anderem erneut, dass die Erhebung einer kommunalen Verpackungssteuer nicht im Widerspruch zum geltenden Abfallrecht steht.1

Neben den Informationsveranstaltungen bietet die Stadt auch zahlreiche Materialien, wie Infofilme, Auslegungshinweise und mehr für die Gastronomie an. Das erklärte Ziel von Tübingen war es, die Betriebe frühzeitig einzubinden und aufzuklären. Bei vielen Betrieben kam das gut an. In einer ersten Umfrage nach circa sechs Monaten hat die Mehrheit die Verpackungssteuer als sinnvolle Maßnahmen bewertet. „Mittlerweile gibt es bei uns in Tübingen in Relation zur Bevölkerung mehr Gastronomiebetriebe mit Mehrwegsystem als irgendwo sonst in Deutschland. Das allein zeigt, wie wirkungsvoll die Verpackungssteuer ist“, macht Claudia Patzwahl deutlich. Das Beispiel aus Tübingen zeigt eindrucksvoll, wie wichtig und einflussreich ehrgeizige Maßnahmen auf lokaler Ebene sind.

Andere Städte lassen sich durch das Tübinger Vorbild inspirieren und prüfen derzeit die Einführung der Verpackungssteuer, wie Konstanz, München oder Freiburg. Gummersbach kündigte an, eine Verpackungssteuer bereits zu Beginn 2024 einführen zu wollen. Die Reduktion von Verpackungsmüll durch die Aktivierung der lokalen Ebene verfolgt  auch die Kampagne „Plastikfreie Städte“ von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Mit der Kampagne möchte die DUH die Aufmerksamkeit auf wirksame Handlungsoptionen von Städten und Gemeinden gegen die wachsende Einwegmüllflut lenken sowie Kommunen auffordern, aktiv zu werden. Um sie dabei zu unterstützen, gibt die DUH kommunalen Akteur*innen Hinweise zu den folgenden Maßnahmen: Vollzug Mehrwegangebotspflicht, Mehrweggebote für Veranstaltungen auf öffentlichem Grund, Mehrweg in der öffentlichen Beschaffung sowie der Einführung von Verpackungssteuern. Um für Rückenwind bei der Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer zu sorgen, haben Bürger*innen außerdem die Möglichkeit, einen von der DUH erarbeiteten Antrag für die Einführung einer Verpackungssteuer an ihre Stadt zu senden. Im Rahmen des Projekts „Mehrweg. Mach mit!“ bietet die DUH interessierten Städten, Gemeinden und Landkreisen aus Deutschland auch ein kostenloses Online-Fachseminar zu mehrwegspezifischen Themen am 20. September 2023 an. Frau Patzwahl aus Tübingen wird hier einen Gastvortrag zur Tübinger Verpackungssteuer halten und für Fragen zur Verfügung stehen.

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1 BVerwG, Urteil vom 24.05.2023 - 9 CN 1.22 -

Geschrieben August 2023