Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen – Ein Update

Im Oktober 2020 hat die Mitgliederversammlung des Klima-Bündnis in einer Resolution den Europäischen Rat und die Mitglieder des Europäischen Parlaments dazu aufgefordert, das EU-MERCOSUR-Freihandelsabkommen in der jetzigen Form abzulehnen. Seitdem veröffentlichen Universitäten, Stiftungen, NGOs und weitere Akteur*innen fast im Monatstakt neue Untersuchungen und Stellungnahmen zu verschiedenen Aspekten des Vertragswerks.

Das Abkommen:
Das Abkommen zwischen den vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay und der EU hebt die Zölle zwischen den Staaten der EU und des Mercosur weitgehend auf und erhöht die Importkontingente. Dies wird die Exporte von Rindfleisch, Soja, Ethanol und Eisenerz aus dem Mercosur in die EU und von Autos, Maschinen und Chemikalien aus der EU in den Mercosur erhöhen, also Rohstoffe aus dem Süden gegen Fertigprodukte aus dem Norden – ein klassischer postkolonialer ungleicher Tausch.

Der gesellschaftliche Widerstand formiert sich
Im Dezember 2020 bezeichnen 120 Organisationen der Zivilgesellschaft Brasiliens das „asymmetrische Abkommen, das die koloniale Logik der ewigen Rohstofflieferanten und Importeure von Industriegütern reproduziert, als eine wahre Katastrophe".1 Am 15.3.2021 fordert das transatlantische Netzwerk „Stop EU-Mercosur“ von 450 Organisationen aus der EU und Südamerika ihre Regierungen öffentlich auf, das Abkommen zu stoppen.2 Das viel zu späte „Sustainable Impact Assessment“ der EU-Kommission vom Dezember 2020 wird am 17.3.2021 von 180 Ökonom*innen als „fehlerhaft“ und „irreführend“ zerrissen und von der europäischen Ombudsfrau Emily O’Reilly ebenfalls an diesem Tag als „schlechte Verwaltungspraxis“ kritisiert.3

Reaktionen in der Politik
Angesichts des Gegenwindes – nicht zuletzt wegen kritischer Stimmen u. a. aus Frankreich und den Niederlanden sowie einem Veto Österreichs – überprüft die EU-Kommission intern die Optionen, entweder das Abkommen so zu splitten, dass der eigentliche Handelsvertrag abgekoppelt von „politischen“ Vereinbarungen nicht mehr der Zustimmung des EU-Parlaments und des Rats bedarf, oder ein Zusatzprotokoll über Entwaldung und Klimawandel zu verfassen. Juristische Gutachten klingen da eher skeptisch: Das Ecologic Institut4 kommt im April 2021 zum Schluss, dass jegliche Zusätze rechtlich verbindliche Vertragsbestandteile des Abkommens sein müssen, um wirksam zu sein. Client Earth5 bemerkt zum Splitting, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedsstaaten nach 20 Jahren Verhandlungen nicht vom Mandat von 1999 gedeckt ist. Ein Gutachten im Auftrag von Misereor, Greenpeace und CIDSE6 fordert transparente und demokratische Neuverhandlungen. Während die EU-Kommission bis heute u. a. mit Hinweis auf die rechtliche Prüfung des Abkommens, in Bezug auf die Wahlen in Frankreich im April 2022 und in Brasilien im Oktober 2022 auf Zeit spielt, begrünt Präsident Bolsonaro die Fassade Brasiliens mit der größten Delegation auf der COP26 in Glasgow und Waldschutzversprechen. Im Lande selbst erleichtert er aber weitere Landnahmen und Rodungen. Lula, sein Wahlkontrahent, hält in seiner Rede vor dem EU-Parlament am 15. November 2021 am Abkommen fest, sofern es verbessert wird und nicht zu einer Deindustrialisierung Brasiliens führt.7

Der Flächenverbrauch steigt...
Spätestens seit 2020 ist durch zahlreiche Studien hinlänglich bekannt, dass das Abkommen den Flächenfraß für Viehweiden, Soja- und Zuckerrohranbau auf Kosten des Regenwaldes, des Klimas und der Rechte der indigenen Völker antreibt. Anschauliche rezente Beispiele dazu liefern u.a. Dokumentationen der IWGIA zu den Risiken für indigene Völker8 und auf Bloomberg Green zu den Praktiken des Fleischkonzerns JBS9. Europäische Chemiekonzerne wie Bayer, BASF und Syngenta verkaufen in Europa verbotene Pflanzenschutzmittel in die Mercosur-Staaten, deren Rückstände wieder in den von dort importierten Agrarprodukten zu uns zurückkehren.10,11,12 Was das Abkommen für den Methanausstoß durch gesteigerte Viehwirtschaft bedeutet  ist keine Überraschung und offensichtlich nicht mit Brasiliens „Global Methane Pledge“ auf der COP26 vereinbar.

...und die Nachfrage auch
Bisher zu wenig beachtet war die gewaltige Erhöhung der Importquote für Bioethanol in die EU um das Sechsfache auf 650.000 Tonnen pro Jahr. Davon sollen 450.000 Tonnen für Bioplastik und 200.000 nicht zweckgebundene Tonnen meist zu Biokraftstoffen verwendet werden.13 Hier steckt auch die große Hoffnung der Flugzeugindustrie auf die Entwicklung von Biokerosin (auf Ethanolbasis). Der Green Deal gibt ja für die europäische Flugzeugindustrie in seiner RefuelEU Aviation Initiative das Ziel vor, dass bis 2050 mindestens 63 % des Treibstoffs „nachhaltig“ (Sustainable aviation fuel, kurz SAF) sein soll.14,15  

Die EU-Kommission hat sich auch zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Anteil nichtfossiler Quellen in chemischen und Plastikprodukten auf mindestens 20 % zu erhöhen.16 Es wird für die nächsten fünf Jahre von einer Verdreifachung der Bioplastikproduktion ausgegangen.17 Die für Bioplastik benutzte Agrarfläche wird so von 0,7 Mio. Hektar in 2020 auf 1,1 Mio. Hektar in 2025 steigen, also um 57 % bzw. jährlich um ca. 10 %.18

Fazit
Während der Verkauf von verbotenen Pflanzenschutzmitteln, die ihren Weg zurück in die EU durch Importe finden, offensichtlich nicht im Sinne einer nachhaltigen Transformation ist, ist im Prinzip ja nichts gegen den Ersatz fossiler durch biogene Stoffe einzuwenden. Da das Potential an biogenen Abfällen und nach-wachsender Biomasse in der EU aber aller Voraussicht nach nicht reichen wird, um die Ziele des Green Deals zu erfüllen, dürfte der klassische Rückgriff auf Importe von Biomasse noch weiter zunehmen – die EU macht große Versprechungen und erfüllt sie durch die Externalisierung auf Kosten anderer: der Regenwälder, der indigenen Völker und des Weltklimas. Unsere Aufforderung in der Resolution vom 8.10.2020 an den Europäischen Rat und die Mitglieder des Europäischen Parlaments, das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen in der jetzigen Form abzulehnen, ist aktueller und nötiger denn je.

Geschrieben von Dietmar Mirkes, ehemaliger Nationalkoordinator Klima-Bündnis Luxemburg

Quellen:

  1. Misereor (9. Dezember 2020): Frente de organizações da sociedade civil brasileira contra o acordo mercosul-ue, URL (in German): https://www.misereor.de/fileadmin/user_upload/2.Informieren/Welthandel/brasilianische-zivilgesellschaft-gegen-eu-mercosur-abkommen.pdf  (Zugriff am 19.1.2022)
  2. Stop EU-Mercosur (15. März 2021): 450 civil society organisation launch a coalition to stop the EU-Mercosur trade agreement!, URL: www.stopeumercosur.org (Zugriff am 7.2.2022)
  3. European Ombudsman (17. März 2021): Decision in case 1026/2020/MAS concerning the failure by the European Commission to finalise an updated 'sustainability impact assessment' before con-cluding the EU-Mercosur trade negotiations, URL: https://www.ombudsman.europa.eu/en/decision/en/139418 (Zugriff am 7.2.2022)
  4. Ecologic Institute (30. April 2021): Anpassungsmöglichkeiten des Mercosur-Vertrags im Bereich Nachhaltigkeitsanforderungen, Völkerrechtliches Kurzgutachten für das BMU – Endfassung
  5. Client Earth (Juni 2021): EU-Mercosur Association Agreement. Governance issues in the EU trade decision making process
  6. Misereor, Greenpeace + CIDSE (ed.) (Mai 2021): Rechtsgutachten und Vorschläge für eine mögliche Verbesserung oder Neuverhandlung des Entwurfs des EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens
  7. Jamil Chade (20. November 2021): Sob Lula, acordo fechado por Bolsonaro com UE será revisto, URL: https://noticias.uol.com.br/colunas/jamil-chade/2021/11/20/sob-lula-acordo-fechado-por-bolsonaro-com-ue-sera-revisto.html (Zugriff am 20.1.2022)
  8. Ricardo Verdum (ed. IWGIA) (August 2021): Mercosur-European Union Trade Agreement: Risks and Challenges for indigenous peoples in Brazil, Copenhagen.
  9. Bloomberg Green (Januar 2022): How big beef is fueling the Amazon’s desutrction, URL: https://www.bloomberg.com/graphics/2022-beef-industry-fueling-amazon-rainforest-destruction-deforestation (Zugriff am 24.1.2022)
  10. Corporate Europe Observatory (13. Oktober 2021): Stop the toxic trade!, URL: https://corporateeurope.org/en/2021/10/stop-toxic-trade (Zugriff am 7.2.2022)
  11. Public Eye (10. September 2020): Banned in Europe: How the EU exports pesticides too dangerous for use in Europe, URL: https://www.publiceye.ch/en/topics/pesticides/banned-in-europe (Zugriff am 7.2.2022)
  12. Larissa Bombardi (2021): Geography of Asymmetry: the vicious cycle of pesticides and colonialism in the commercial relationship between Mercosur and the European Union, University of Sao Paulo
  13. Friends of the Earth Europe (Dezember 2021): Ethanol expansion, Brussels
  14. European Commission: DG Mobility and Transport (14. Juli 2021): Proposal for a Regulation on ensuring a level playing field for sustainable air transport, URL: https://www.europeansources.info/record/proposal-for-a-regulation-on-ensuring-a-level-playing-field-for-sustainable-air-transport/ (Zugriff am 7.2.2022)
  15. Chemietechnik (20. Januar 2021): Konsortium plant Produktion von nachhaltigem Kerosin in Europa, URL: www.chemietechnik.de/anlagenbau/konsortium-plant-produktion-von-nachhaltigem-kerosin-in-europa-106.html: Aireg (2019): Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V., URL: https://aireg.de/ (Zugriff am 24.1.2022)
  16. European Commission (15. Dezember 2021): European Green Deal: Commission proposals to remove, recycle and sustainably store carbon, Brussels
  17. Recycling Portal (7. Dezember 2021): EUBP Conference 2021: The role of bioplastics within the European Green Deal, URL: https://recyclingportal.eu/Archive/69533 (Zugriff am 21.1.2022)
  18. European Bioplastics (2020): Bioplastics Market Development update 2020, URL:www.european-bioplastics.org (Zugriff am 21.1.2022)