Der Klimagipfel zu Glasgow

Von indigenen Völkern und Lobbyisten

Voller Hoffnung kamen die Repräsentant*innen indigener Völker aus aller Welt zum Klimagipfel in Glasgow, um der Weltöffentlichkeit die voranschreitende Zerstörung ihrer Lebensräume durch Ressourcenabbau und Klimawandel vor Augen zu führen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Durch die Pandemie hatten sie erhebliche logistische, administrative und finanzielle Hürden auf dem Weg zum „inklusivsten aller Klimagipfel“ (so der Gastgeber Großbritannien) zu überwinden, der sich dann doch als exklusivster Gipfel entpuppte. So stellten die rund 200 Indigenvertreter*innen weniger als 1 % der rund 25.000 COP-Teilnehmer*innen. Und die fossilen Lobbyisten waren eh schon da.

Die Situation der indigenen Völker in Amazonien und ihre Forderungen

Schon im Vorfeld der COP26 hatte die COICA, Partner des Klima-Bündnis und Dachverband der neun nationalen Indigenen-Organisationen Amazoniens, eine Deklaration zum Schutz der Verteidiger*innen von Menschenrechten verfasst, denn 2020 wurden 202 von ihnen allein in Brasilien, Kolumbien, Peru und Bolivien umgebracht: Regierungen sollen u.a. keinerlei externe Zugriffe auf indigene Territorien ohne Zustimmung der indigenen Völker mehr erlauben und keine Gewalt gegen Verteidiger*innen von Menschenrechten mehr zulassen.1

Auf dem Gipfel warnte Gregorio Mirabal, Generalkoordinator der COICA, ganz Amazonien drohe von einer Senke zu einer Quelle von Treibhausgasen zu werden: 22 % seien bereits degradiert und entwaldet, 66 % von Interventionen bedroht. Um das Umkippen zu vermeiden, sollten bis 2025 80 % Amazoniens unter Naturschutz gestellt werden. Wie viele andere beklagte auch Miguel Guimaraes, Vize-Präsident der AIDESEP, der Union der peruanischen Indigenenverbände, mit Bitterkeit die Situation in seiner Heimat: „Wenn wir Entwaldung anzeigen, sind Drohungen die einzige Antwort, aber der Staat unternimmt überhaupt nichts.“

Tuntiak Katan vom Volk der Shuar in Ecuador, Koordinator der Global Alliance of Territorial Communities (AGCT) und Vizekoordinator der COICA, zog aus der Tatsache, dass weniger als 1 % der Mittel für den Erhalt der Regenwälder die indigenen Gemeinden erreichen, den Schluss: „Die Regierungen sind Kohlenstoffpiraten. Sie stehlen unsere Kohlenstoffrechte, die in unseren Gebieten liegen, und nehmen Gelder ein, die aber überhaupt nicht die Gemeinden erreichen.“2

Dabei haben die indigenen Völker viele erfolgreiche Projekte zum Schutz der Regenwälder vorzuweisen. Fermín Chimatani, Präsident der ANECAP aus Peru kommentierte: „Wir haben selbst schon viele Projekte mit unserem traditionellen Wissen und Methoden realisiert. Konkret fordern wir eine effektive Partizipation im gesamten Lauf der Projekte. Wir wollen Partner sein und nicht Empfänger.“

Einen Erfolg konnte die „Plattform für lokale Gemeinschaften und indigene Völker“ (Local Communities and Indigenous Peoples Platform) verbuchen: In vielen Texten der Konferenz werden die Belange der lokalen Gruppen und indigenen Gemeinschaften erwähnt und das Mandat ihrer Arbeitsgruppe im Rahmen des UN-Klimasekretariats wurde für weitere drei Jahre bewilligt.3

Hauptsache „klimaneutral“

Doch trotz einiger Erfolge braute sich in Glasgow eine neue Gefahr für die indigenen Völker zusammen: Alle wollen jetzt bis 2040 oder 2050 „klimaneutral“ werden und „net zero“ erreichen. „Net zero“ bedeutet, dass ein Teil der ausgestoßenen Treibhausgase durch andere Maßnahmen kompensiert werden kann. Für die Indigenen heißt dies, dass sich eine neue Welle an Monokulturprojekten aufbaut, die ihre Lebensräume bedrohen. Ähnliches geht vom Artikel 6 zu den Emissionsrechten aus. Hier wurde zwar immer wieder darauf hingewiesen, dass die Staaten die Interessen indigener Völker „in Betracht ziehen sollten“, aber ihre zentrale Forderung nach dem Recht auf „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ taucht nicht auf. Tom Goldtooth vom Volk der Navajos in den USA, Direktor des Indigenous Environmental Network, sprach Klartext: "Wir brauchen eine echte Reduzierung und müssen die fossilen Brennstoffe im Boden belassen. Die Kompensation von Kohlenstoff setzt den Diebstahl des Landes der indigenen Völker und unserer Territorien fort. Unsere Brüder und Schwestern haben ihr Land und ihre Wälder seit Tausenden von Jahren geschützt. Kohlenstoffkompensationen sind eine neue Form des Kolonialismus."4

Ausstieg aus fossilen Brennstoffen

Vom Ausstieg aus den fossilen Energien blieb nur eine vage Formulierung übrig: Nur „umgebremste“ Emissionen aus der Kohleverbrennung und nur „ineffiziente“ Zuschüsse für fossile Brennstoffe sollen enden – eine Aufgabe für kreative Buchhalter*innen der Betriebe und ein Erfolg der 500 Kohle-, Öl- und Gas-Lobbyisten, die die größte Gruppe in Glasgow bildeten5, größer als jede Länderdelegation (angeführt von Brasilien mit 483 Delegierten). Die Forderung vieler indigener Gruppen „Lasst das Öl im Boden“ verhallte ungehört in Glasgow; so kann in Amazonien die Ölförderung ungebremst weitergehen. Die Emissionen aus fossilen Brennstoffen führen zu schweren Verlusten und Schäden bei vielen verletzlichen Bevölkerungsgruppen. Doch die indigenen Völker gingen leer aus. „Betrug“ ist der häufigste Kommentar aus der Zivilgesellschaft dazu.

Stimmen zu den Ergebnissen

Gemessen an der Dringlichkeit des Problems – dem verbleibenden Spielraum in der Atmosphäre, dem letzten Bericht des Weltklimarats und den Klimakatastrophen weltweit – muss man leider von einem Scheitern des Gipfels sprechen. Dafür stehen das Verwässern des Ausstiegs aus den fossilen Energien, das mangelhafte Ergebnis bei Loss & Damage, die neuen nicht hinterfragten Ziele der „Klimaneutralität“ und „net zero“ und die unbegrenzte Menge neuer Projekte, um CO2 kompensieren und einfangen zu können. CAN-International betitelte am 13.11.21 die letzte Pressemitteilung so: „COP26: Reiche Nationen verraten verletzliche Menschen auf der Welt“.

„Die von den 197 Unterzeichnerstaaten des Glasgow-Paktes festgelegten Maßnahmen sind angesichts der aktuellen Klimakrise unzureichend. Das Abschlussdokument zeigt den mangelnden politischen Willen der am stärksten industrialisierten und umweltverschmutzenden Länder für eine echte Energiewende … Es ist an der Zeit, dass die Industrieländer, … Institutionen und Nichtregierungsorganisationen ein für alle Mal mit den indigenen Organisationen und Völkern zusammenarbeiten und die eingegangenen Verpflichtungen in die Tat umsetzen, um die Klimaziele zu erreichen und den Schutz des Amazonas zu gewährleisten.“– COICA zur COP26 in ihrer Erklärung vom 01.12.2021 zu den Ergebnissen (kompletter Text: ES | EN)

Die indigene Nachrichtenagentur Servindi (Servicios de Comunicación Intercultural) schreibt: „Die Ziele wurden nicht erreicht. Ein Gefühl der Enttäuschung und Hilflosigkeit machte sich nach dem Abschluss der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26) in der ganzen Welt breit. Es handelte sich um einen Klimagipfel, der mit Lobbyisten der Öl-, Gas- und Kohleindustrie vollgestopft war und in dem überwiegend Personen aus den reichsten und umweltschädlichsten Ländern vertreten waren“6

Schlussbemerkungen

Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen: So wie die Klimagipfel funktionieren, mit ihrem Zwang zur Einstimmigkeit, der alles nach unten nivelliert, mit all den Lobbyist*innen der fossilen Industrie, die immer schon da sind, und ihrer schwindenden Glaubwürdigkeit – so wird das nichts. Der Druck von der Straße, die Einmischung von Organisationen der Zivilgesellschaft ist nötiger denn je, um die Staaten anzutreiben, ihren Versprechen und Verpflichtungen auch Taten folgen zu lassen. Die globale Gerechtigkeitslücke wird immer größer. Wir haben im Klima-Bündnis die Möglichkeit, sie ein bisschen kleiner zu machen. Wir müssen handeln, und wir können handeln. Die indigenen Völker Amazoniens brauchen unsere Unterstützung und wir brauchen ihr Wissen, um unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen zu können.

Geschrieben von Dietmar Mirkes, ehemaliger Nationalkoordinator Klima-Bündnis Luxemburg

Quellen:

  1. COICA (4. November 2021): Declaracion de Glasgow sobre metas para la proteccion de defensora desde la coica en la cop26. URL: https://coicamazonia.org/declaracion-de-glasgow-sobre-metas-para-la-proteccion-de-defensores-y-defensoras-desde-la-coica-en-la-cop26/ (Zugriff am 10.12.2021)
  2. Astrid Arellano (17. November 2021): ENTREVISTA | Tuntiak Katan: “Si esperamos que una decisión que se tome en la COP26 se refleje en terreno, quizás no va a suceder”. URL: https://es.mongabay.com/2021/11/entrevista-tuntiak-katan-cop26-cambio-climatico/ (Zugriff am 10.12.2021)
  3. UNFCCC/SBSTA (6. November 2021): Local Communities and Indigenous Peoples Platform. URL: https://unfccc.int/documents/307767 (Zugriff am 10.12.2021)
  4. Climate Action Network International (13. November 2021): COP26: Rich nations betray vulnerable people of the world. URL: https://climatenetwork.org/2021/11/13/cop26-rich-nations-betray-vulnerable-people-of-the-world/ (Zugriff am 10.12.2021)
  5. Global Witness (8. November 2021): Hundreds of fossil fuel lobbyists flooding COP26 climate talks. URL: https://www.globalwitness.org/en/press-releases/hundreds-fossil-fuel-lobbyists-flooding-cop26-climate-talks/ (Zugriff am 10.12.2021)
  6. Servindi (15. November 2021): La cumbre de Glasgow cierra con un clima de decepción. URL: https://www.servindi.org/actualidad-noticias/15/11/2021/la-cumbre-de-glasgow-cierra-con-un-clima-de-decepcion (Zugriff am 10.12.2021)