
15.06.2020 | Online
Brasilien in der Krise – COVID-19 ist die Spitze des Eisbergs
Wie kann Europa Brasilien bei der Überwindung seiner gegenwärtigen humanitären und ökologischen Krise unterstützen?
Bei diesem Event legten Vertreter*innen der brasilianischen Zivilgesellschaft und der indigenen Bevölkerung ihre Sicht auf die Situation in ihrem Land dar: Was bedeutet die Instrumentalisierung der Krise zur Beschleunigung der Entwaldung und Umweltzerstörung für sie und wie kann Europa sie unterstützen?
Das Ziel der Veranstaltung war es, von indigenen Vertreter*innen über ihre tatsächlichen Bedürfnisse und entscheidende Rolle zu erfahren, die Europa bei der Unterstützung Brasiliens heraus spielen könnte. Europäische Politiker*innen sollten darauf reagieren und ihre Meinung dazu äußern, was Europa tun kann, um zu helfen.
Das Event war eine Kooperationsveranstaltung des Klima-Bündnis mit der Stiftung Regenwald Norwegen und der Gesellschaft für bedrohte Völker. Die Aufzeichnung ist hier verfügbar.
Panellists:
- Marcio Astrini, Observatório do Clima - seine Präsentation sehen
- Dinamam Tuxá & Kretã Kaingang, APIB (Brazil's Indigenous People Articulation)
- Anna Cavazzini, MEP (Alliance 90/The Greens)
- Kathleen Van Brempt, Member of European Parliament (Progressive Alliance of Socialists and Democrats)
- Marina Silva, ehem. Umweltministerin von Brasilien
Highlights:
Die Regierung Bolsonaros nutzt das Chaos, welches die Covid-19-Krise in Brasilien ausgelöst hat, um die demokratischen Institutionen und Schutzmaßnahmen in dem Land zu zerstören. Dies ist ein weiteres, sehr klares Beispiel für die von Naomi Klein im Jahr 2007 beschriebene Schockdoktrin.
Unsere brasilianischen Diskussionsteilnehmer*innen hoben hervor, dass die Situation vor Ort weitaus schlimmer sei als von den öffentlichen Medien dargestellt: Die Maßnahmen der Regierung gefährdeten ernsthaft die Demokratie und die öffentliche Gesundheit in Brasilien. Bolsonaros Entscheidungen seien eine Gefahr für den gesamten Planeten, und wir müssten uns über Kontinente hinweg vereinen, um ihn und seine Angriffe auf das Amazonasgebiet und die dort lebenden Völker zu bekämpfen.
Die Render*innen machten ganz klar deutlich, dass mit der Ratifizierung des Mercosur-Handelsabkommens die EU Bolsonaros Politik mit einem Gütesiegel versehen würde; eine Politik, die den Krieg gegen die indigenen Völker im Amazonasgebiet finanzieren und die bestehenden Völkermordversuche weiterhin verstärken würde. Das Handelsabkommen in seiner aktuellen Form stellt eine große Bedrohung dar, da es nicht ausreichend Schutz für die Menschenrechte bietet, sondern im Gegenteil Gründe liefern würde, die Angriffe auf die indigenen Völker, die das Amazonasgebiet schützen, zu verstärken.
Die Vertreter*innen der indigenen Völker betonten auch die Doppelzüngigkeit der EU, einerseits für den Klimaschutz einzutreten, andererseits aber ein umweltschädliches Handelsabkommen auszuhandeln, das sowohl einen Genozid, als auch die Rodung des Regenwaldes finanziere. Sie fordern daher Eindeutigkeit und eine klare Priorisierung: Klima und Menschenrechte oder Handel und Zerstörung.
Die Mitglieder des Europäischen Parlaments unterstrichen den aktuell wachsenden Widerstand gegen Bolsonaro in Europa, wobei Bürger*innen und Supermärkte sich zu mobilisieren beginnen. Für sie bietet das Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form nicht genügend Umweltschutz, aber es könnten Verbesserungen ausgehandelt werden. Außerdem könnte die Ratifizierung als Hebel genutzt werden, um eine klimafreundlichere Politik in Brasilien zu gewährleisten. Sie wiesen darauf hin, dass auch ohne ein Abkommen globaler Handel stattfinden würde: Es werden bereits heute Produkte zwischen Brasilien und der EU ausgetauscht, so dass eine völlige Ablehnung des Abkommens als solche das Leben der Brasilianer*innen nicht verbessern würde.
Zu ihren Empfehlungen gehört:
- Ein ständiger Dialog zwischen brasilianischen Zivil Gesellschaft und europäischen Entscheidungsträgern, da ein stetiger Austauschnotwendig sei, um den Schaden, den Bolsonaros Regierung anrichtet, zu neutralisieren.
- Zuhören und die Unterstützung indigener Gemeinschaften in ihrem Widerstand sei von entscheidender Bedeutung, sei es vor Ort oder in den juristischen Kämpfen, die sie gegen die brasilianische Regierung führten.
- Die Quantifizierung der CO²-Importe und -Exporte könnte auch ein Instrument zur Überwachung der Handelspolitik sein.
- Es müsse mehr Druck aufgebaut werden, und die europäische Wirtschaftsmacht sollte genutzt werden, um ihren Einfluss auf den Regenwald umzuwandeln.
- Die Handelspolitik zu überdenken und sie an den Klimazielen auszurichten wäre ein logischer Schritt. Es sei an der Zeit, dass Europa erkenne, dass die EU- Politik Auswirkungen auf andere Bereiche hat und dass u.a. die Abhängigkeit der EU von Sojaimporten verringert werden muss, was eine Reform unseres Landwirtschaftsmodells bedeuten würde. Darüber hinaus sollte die EU auch über ein System verfügen, das sicherstellt, dass die von ihr importierten Produkte nicht zur Entwaldung beitragen: Die Idee eines neuen Gesetzes, welches die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette festlegt, beginne sich durchzusetzen.
- Im Hinblick auf das Mercosur-Abkommen sei es wichtig, mit der Arbeit an diesen Bedingungen vor der Ratifizierung zu beginnen: Welches sind die Mindeststandards (Sozial- und Umweltstandards), die Europa vor der Unterzeichnung eines Handelsabkommens verlangt? Wir befinden uns heute an einer Kreuzung – gehen wir den Schritt auf neue Handelsabkommen, die soziale und ökologische Faktoren beachten, zu, oder halten wir an der herkömmlichen Art und Weise, Abkommen zu schließen, fest und ignorieren die Auswirkungen auf Klima und Menschen?
Wollen Sie mehr erfahren?Ein Dialog zu diesem Thema wird in den kommenden Wochen und Monaten fortgesetzt, senden Sie uns eine E-Mail an klimagerechtigkeit(at)klimabuendnis.org, wenn Sie daran interessiert sind.
Die Veranstaltung wird im Rahmen des EU-Projekts (DEAR) "Change the Power – (Em)Power to Change" von der Europäischen Kommission mitfinanziert.